Das Gesicht ist üblicherweise jene Ausdrucksfläche, die als Identifizierungsmarker einer Person dient. „Face“ heißt aber nicht nur „Gesicht“, sondern kann auch mit „Fassade“ übersetzt werden, und damit mit jener Struktur, die jedes architektonische Gebäude „schmückt“. In Sasha Pirkers gleichnamigen, kurzen auf 16mm mit Handkamera gedrehtem Film laufen diese beiden Übersetzungsvarianten diametral zueinander. Pirker verzichtet einerseits darauf das Gebäude als Ganzes zu zeigen und greift ganz subjektiv einzelne Fragmente heraus, die die Betrachterin und der Betrachter einander zuordnen muss. Eine Spur für diese Lesevariante legt auch ein Zitat der Künstlerin Birgit Baldasti, das gleich zu Beginn aufleuchtet: „Wenn ich eine Dichterin wäre, würde ich sagen, das Vergnügen liegt in der Vervollkommnung der eigenen Phantasie durch den anderen.“ Andererseits wählt Pirker die Ausschnitte auf das Gebäude aber auch so, dass die einzelnen Gesichter der vorbei flanierenden Personen im Verborgenen bleiben. Die Körper, sowohl architektonischer als auch menschlicher Natur, existieren in THE FACE ohne das primäre Erkennungsmerkmal des Gesichts. Metaphorisch gedacht werden nur im Detail Augen, Mund, Nase und Ohren der Architektur sichtbar, während die Menschen meist beschnittene, oder von hinten aufgezeichnete Körpersilhouetten bleiben. Durch die Kadrierung zeigt jedes filmische Bild immer nur einen Ausschnitt; so etwas wie ein Ganzes wird hier gar nicht mehr suggeriert. In Sasha Pirkers Blickweise erhalten die architektonischen Elemente darüber hinaus skulpturale Akzente. Gleichzeitig jongliert Pirker mit Ein- und Ausblicken, die den limitierten bzw. auszughaften Blick markieren und gerade dadurch die Fantasie beflügeln. Fast beiläufig gelingt ihr zudem eine Verkettung zwischen Galerieraum und Straße, die den beiden Machern, Vito Acconci und Steven Holl, bei der Neugestaltung der Fassade des Storefront for Art and Architecture (NYC) 1993 primäres Anliegen war. (Dietmar Schwärzler)